Was braucht die Beteiligung von Morgen?

Über Tempo, Transformation und Nachhaltigkeit – Ein Interview mit Maria Brückner 

Morgen

Über Tempo, Transformation und Nachhaltigkeit
Ein Interview mit Maria Brückner

von Anne Gröger

Bewegte Zeiten für Beteiligung. 2020 hat die Pandemie alle partizipativen Verfahren mit Karacho ins Digitale verlegt. Bis heute beeinträchtigt sie unser Zusammenleben und damit unsere Dialoge. Unsere langjährige Erfahrung in der Online-Beteiligung war hilfreich, um in dieser Situation einen sinnvollen Beitrag zu leisten. Inzwischen ist Online-Beteiligung vielerorts zum selbstverständlichen Teil der Bürgerkommunikation geworden. Das freut uns sehr. Doch Ausruhen ist nicht angezeigt. Mit Vehemenz drängen neue Anforderungen an Beteiligungsverfahren auf die Agenda. Darüber möchte ich mit Maria, unserer neuen Geschäftsführerin, sprechen. 

Wir stehen am Beginn eines Jahrzehnts der großen Transformationen, wir müssen in sehr kurzer Zeit eine Energie- und Verkehrswende stemmen. Verfahren sollen beschleunigt werden. Maria, welchen Beitrag kann Beteiligung hier leisten? 
Große Infrastrukturprojekte sind Vorhaben, die sehr viele Menschen betreffen. Sie haben viele einzubeziehende Perspektiven. Es geht fast immer um Fragen von divergierenden Nutzungsinteressen, also von Anwohnenden, Gewerbetreibenden und weiteren Akteuren. Bei diesen Transformationsprojekten zeigen sich die großen gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit „im Kleinen“: wie finden wir gute Lösungen für deutlich weniger und zugleich noch ausreichenden Autoverkehr und damit mehr Platz für Rad- und Fußverkehr? Wo liegen Energietrassen oder Windparks am verträglichsten? Es geht um komplexe und oft konträre Interessen und Perspektiven. Um solche Vorhaben im Zeitplan zu realisieren, müssen sie ausgehandelt werden. Geschieht das frühzeitig und dialogisch, stehen die Chancen dafür gut. Werden solche Interessen jedoch negiert, können diese dann später und auf anderen Wegen (z.B. juristisch) die Verfahren beeinflussen und damit verlangsamen.  

Wo setzt hier der Dialog an? 
Wir setzen an beim Bedarf gehört zu werden. Es ist essenziell, dass die unterschiedlichen Positionen im Verfahren sichtbar werden und alle darauf vertrauen können, dass ihre Position deutlich wird. Eine gute Beteiligung schafft Raum für die unterschiedlichsten Perspektiven, versachlicht die Positionen und macht sie so überhaupt erst bearbeitbar. Auf diese Weise entsteht Vertrauen in den Prozess, Proteste lassen sich kanalisieren und alle Beteiligten haben die Möglichkeit, produktiv an einer tragbaren Lösung zu arbeiten. Das erhöht am Ende auch die Bereitschaft eine Lösung zu akzeptieren, die vielleicht nicht ganz den im Vorfeld formulierten Bedarfen entspricht. Wenn das erfolgreich läuft, lässt sich Planungszeit so sogar verkürzen.  

Es geht am Ende aber immer um einen Kompromiss, oder? Der hat ja keinen so guten Ruf. 
Genau, es geht darum, dass alle den Kompromiss als gemeinsames Ziel der Beteiligung akzeptieren. In der Praxis wird das zum Glück auch gar nicht so negativ bewertet. Es geht nicht um einen Kuhhandel, sondern um eine von allen getragene Einigung, am Ende eines respektvollen Aushandlungsprozesses. Mein Eindruck ist, dass sich hier in den letzten Jahren auch was getan hat und die Konfliktlösungskompetenz zugenommen hat.  

Das heißt, Beteiligung kann dazu beitragen, dass Transformationsprojekte mehr Akzeptanz erfahren? Oder würdest du noch weitergehen, kann Beteiligung die Transformation auch mitentwickeln?  
In dem eben genannten Verständnis ist das durchaus inhärent. Denn Beteiligung entwickelt natürlich immer mit. Gute Verfahren ermöglichen die dafür erforderliche Offenheit. Das kann dann im Endergebnis auch zu Umplanungen oder Erweiterungen führen.  

Mancherorts gibt es ja auch die Position, dass Beteiligungen die Verfahren nur verlangsamt. Wie schnell kann eine Beteiligung an den Start gehen, wenn es schnell gehen muss? 
Wenn das Konzept bereits steht und man mit niedrigschwelligen Formaten oder einer Beteiligungssoftware arbeitet, kann eine Beteiligung in wenigen Wochen an den Start gehen.  

Sind die Überlegungen zur Beteiligung noch am Anfang, können wir in kurzer Zeit eine Konzeption zu den angefragten Themen erstellen und mit den Auftraggebenden abstimmen. Um dem Prozess gerecht zu werden, achten wir vor allem darauf, welche Akteure involviert sind und wie es um die Legitimität des Anliegens bestellt ist. Und dann kann es schnell oder langsam gehen.  

Woran liegt das?  
Manchmal brauchen Auftraggebende nochmal etwas Zeit, um Ressourcen zu organisieren oder den Prozess intern weiter zu besprechen. Manchmal ist auch der Planungsprozess noch nicht so weit. Oder die Kommunikation rund ums Verfahren erfordert, dass die damit verbundenen Fragestellungen und Botschaften nochmal geschärft werden. Eine wichtige Voraussetzung, damit es losgehen kann. In der Regel lässt sich das aber gut zu den Planungsprozessen organisieren und hat dann keinen großen zeitlichen Nachteil.  

Das heißt, für schnelle Vorhaben sollte die Kommunikation rund um die Beteiligung gleich mitgedacht werden? 
Das gilt in jedem Fall. Gute, transparente Information rund um die Beteiligung ist essenziell. Wichtig sind attraktive Informationsformate, wie z.B. eine offene Sprechstunde wie „Frage-Antwort-Formate“ oder Erklärvideos zum Verfahren. Wer sich hier keine Mühe gibt, oder langsam und nur bruchstückhaft kommuniziert, löst Misstrauen aus. Wer umfassend, transparent und zielgruppengerecht informiert, stärkt Vertrauen. Und bringt damit zugleich auch Tempo ins Verfahren. 

Dienen schnelle Verfahren der Nachhaltigkeit? 
Wenn wir nicht punktuell denken, ja. Das heißt, auch bei zügigen Verfahren müssen wir den gesamten Prozess berücksichtigen, den beteiligten Perspektiven angemessen Raum geben – und das bei einem für alle transparenten Beteiligungs- und Entscheidungsspielraum. Klingt komplex, ist aber angemessen angesichts der komplexen Bedarfe der Projekte und auch machbar, wie man an vielen erfolgreichen Beteiligungs- und Planungsprojekten sehen kann. 

Vielen Dank für das Gespräch, liebe Maria. 
Ob Inklusion, Kreativität oder Mobilisierung – uns fällt natürlich noch viel mehr ein zur Frage „Was braucht die Beteiligung von Morgen?“ Darum wird aus dieser Frage eine Reihe. Wir freuen uns auf rege Diskussionen.

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