Städtischen Raum neu verhandeln

Transformationsherausforderung Mobilitätswende: Wie wir sie partizipativ gestalten, mehr Flächengerechtigkeit schaffen und hochwertige Stadträume für alle entwickeln

Von Alina Schütze

Reallabor Ingolstadt

Unausweichlich: Die Debatte um Flächengerechtigkeit

Unsere Städte müssen sich verändern, und das nachhaltig. Wie das aussehen kann, ist zentral davon abhängig, wie wir uns in ihnen bewegen. Allerdings ist das einfacher gesagt als getan. Mit dem Ausbau von Nahverkehr und anderer Infrastruktur gehen oft große Veränderungen und hindernisreiche Bauphasen einher. Um das „Umsteigen“, d.h. Änderungen im persönlichen Mobilitätsverhalten, kommen wir nicht herum. Vielerorts gibt es die Notwendigkeit, den motorisierten Individualverkehr zu reduzieren – weniger Autos, weniger Parken. Ein hochemotionaler Aspekt in der Debatte um klimaangepasste Städte.

Viele Kommunen auf dem Weg zur Mobilitätswende beschäftigen sich bereits mit dem Thema der Flächengerechtigkeit. Seit Jahrzehnten werden Autofahrende dazu legitimiert, persönliche PKW überall in der Stadt abzustellen und den öffentlichen Raum damit einzunehmen. Dieses unausgesprochene Privileg für Wenige wird nun in Frage gestellt. Denn das individuelle Parken ist nicht nur ein Privileg, sondern auch ein Sicherheitsrisiko (z.B. aufgrund versperrter Sicht für Kinder, riskanter Ausweichmanöver durch Zweite-Reihe-Parken, zugeparkte Geh- und Radwege) das Kommunen viel Geld kostet und effektiven Klimaschutz verhindert.(1)

Bedenken ernst nehmen, Alternativen aufzeigen

Wie Kommunen diese Debatte partizipativ und kommunikativ gestalten können, ohne dass das Thema Parkplätze Beteiligungsveranstaltungen gänzlich dominiert, zeigen wir in diesem Beitrag auf. Denn auch wir haben in den letzten Jahren in zahlreichen Projekten zur Mobilitätswende viel gelernt.

Uneinigkeit zwischen Politik und Verwaltung oder Klagen um Gebührensätze für das Bewohnerparken können wir nicht verhindern – aber wir können mit guter Kommunikation und Beteiligung Alternativen aufzeigen, die das Umsteigen einfacher machen. Wir wissen, dass Bewohner*innen die besten Expert*innen sind für das, was sie zum Umsteigen brauchen. Die Herausforderung besteht darin, kreative Lösungen für den begrenzten Raum zu finden, damit schlussendlich mehr Menschen profitieren. Mit dieser Botschaft für Verständnis zu sorgen und die Planungen mit dem Fachwissen der Bürger*innen zu stärken, ist der Auftrag eines guten Beteiligungsprozesses. Denn für viele Bedenken gibt es bereits gute Antworten.

Wer muss mitreden? Die wichtigsten Zielgruppen

Die Verkehrswende geht alle an. Aber einfach „alle“ zum Beteiligungsprozess einzuladen, ist selten erfolgversprechend. Wir ermutigen in unseren Prozessen dazu, wirklich passgenaue Formate für einzelne Zielgruppen zu entwerfen. Denn Kinder und Jugendliche erreicht man weniger in Abendveranstaltungen und Gewerbetreibende brauchen Angebote außerhalb ihrer Ladenöffnungszeiten. Jeder Prozess ist einzigartig, aber über diese Zielgruppen sollten sich alle Gedanken machen:

  • Entscheider*innen an einen Tisch holen: Wer wird meine Maßnahme schlussendlich umsetzen? Wer wird die Beteiligungsergebnisse in einen solideren Plan überführen? Eine intensive Stakeholderbeteiligung ist im Kontext der Mobilitätswende unausweichlich. Dieser Kreis liefert häufig auch hilfreiche Daten, um die Debatte zu versachlichen.
  • Wer ist am Ende von der Maßnahme betroffen? Welche Interessengruppen müssen unbedingt mitreden? Sitzen neben ADFC und ADAC auch Mobilitätseingeschränkte, Menschen mit Behinderung oder Vertretende der Fußgänger*innen am Tisch?
  • Sind Anwohnende direkt betroffen? Wie kann ich sie so persönlich wie möglich zum Prozess einladen?
  • Wie sind Kinder und Jugendliche eingebunden? Gen Z ist als Stakeholder bei langen Planungszeiten zentral. Sie denken bereits jetzt deutlich anders über Mobilität als Menschen über 30. Es wird Zeit, ihre Stimme ernst zu nehmen.
  • Was sind die Zweifel der betroffenen Gewerbetreibenden? Haben sie ein Forum, sich spezifisch zu ihren Anliegen auszutauschen?
  • Wie erreiche ich bisher wenig befragte Zielgruppen, wer könnten meine Multiplikator*innen sein? Sind meine Formate und Angebote mehrsprachig und aufsuchend?

 

Was hat sich bewährt?

Anbei eine kleine Auswahl an Beispielen erfolgreicher Beteiligungsformate bei Zebralog – Beteiligungsspiel, Reallabor, Trassenspaziergang und Augmented Reality.

Frankfurt Kinder- und Jugendbeteiligung

In Frankfurt am Main diskutieren Kinder beim 3. Mobilitätsforum direkt mit. 

Beteiligungsspiele: verkehrliche Transformation spielerisch vermitteln

Für den Frankfurter Masterplan Mobilität wurde bei einem großen Mobilitätsforum auf zusätzliche dezentrale Beteiligungsformate gesetzt, die spielerisch die Herausforderung der Mobilitätswende verdeutlichen: Anhand eines Stickersets konnten Frankfurter*innen Kosten- und Zeitaufwand von potenziellen Maßnahmen für klimaangepasste Mobilität priorisieren und zu einem persönlichen Masterplan zusammenstellen. Ein Gefühl für das Arbeiten mit begrenzten Ressourcen, Machbarkeit und Bezahlbarkeit führte zu fundierten Beteiligungsergebnissen. Bild entfernt.

Masterplan Mobilität

Spielerische Priorisierung der Maßnahmen für die Mobilitätswende in Frankfurt.

 

Das Reallabor: Beteiligen im Maßstab 1:1

In Ingolstadt durften wir letzten Sommer das Reallabor am Schleifmühlenplatz mitgestalten, wo in Zukunft Parkplätze für einen lebendigen Quartiersplatz mit Aufenthaltsqualität weichen werden. Die temporäre Beteiligungsintervention mit Rückmeldewand, Audioaufnahmen und Graphic Recording gaben kreative Möglichkeiten, darüber ins Gespräch zu kommen, wie der Platz zukünftig genutzt werden kann. Platzgestaltungen bieten sich als Beteiligungsgegenstand an – der Fokus wird auf den Gewinn neuer Räume für alle gesetzt (und nicht auf den Verlust von Parkplätzen für Wenige) – ein wichtiges Schlüsselnarrativ aus unserer Sicht. Natürlich muss auch darüber gesprochen werden, wie in Zukunft Anlieferung, Krankentransport und Co. funktionieren, z. B. mit Vertretenden der Stadtverwaltung vor Ort, aber auch Feuerwehr, Polizei und Rettungsdienst selbst. Am Ende profitieren alle vom besser geregelten Parken.

Reallabor Ingolstadt

Das Reallabor am Schleifmühlenplatz in Ingolstadt. 
 

Der Trassenspaziergang – sich gemeinsam ins Detail vertiefen

Auch große Infrastrukturmaßnahmen führen oft zur Umgestaltung von Stadtraum, Baustellen und Parkplatzreduzierung, wie z. B. bei der Umstellung zu einem nachhaltigen Öffentlichen Nahverkehr in Kiel. Hier werden Fragen zur Planung einer neuen Stadtbahn sehr früh bearbeitet, um den Beteiligungsspielraum bestmöglich auszunutzen. Bei Trassenspaziergängen in den verschiedenen Vierteln thematisiert die Stadt die zukünftigen Straßenquerschnitte. Für die Bürger*innen wird deutlich, welcher Baum und welcher Parkplatz weichen müssen und ob dies notwendig ist. Die Verwaltung bewirbt die Beteiligungsangebote intensiv und informiert kontinuierlich über den Planungsprozess. Ergänzend werden die Kieler*innen in Online-Dialogen zu den einzelnen Trassenabschnitten befragt, um noch breitere Beteiligungsrückmeldungen einzuholen. Konsequentes Antworten und Transparenz über die Umsetzung der Rückmeldungen sorgt hier für eine vertrauensvolle und konstruktive Diskussion.

Trassenspazierung

Trassenspaziergang in Kiel-Wik 
 

Augmented Reality: mit Zukunftsvisionen die Fantasie ankurbeln

In einem Forschungsprojekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung testen wir Virtual-Reality Ansätze in der Beteiligung, so z.B. vor einer Schule in Mannheim und in einem wachsenden Wohnviertel in Rostock. Durch eine Augmented Reality App auf dem Tablet können sich Bürger*innen direkt vor Ort schauen, wie der neu gewonnene Raum nach Wegfall der Parkplätze genutzt werden könnte. Im rein virtuellen Beteiligungsraum geht sogar noch mehr: Baumbestand und parkende Autos können zusätzlich zu den Visualisierungen neuer Platz-Visionen als Layer aus- und eingeblendet werden. Teilnehmende sollen sich in mögliche Veränderungen nicht nur eindenken, sondern einfühlen, und konkreter konstruktive Rückmeldungen geben können. Eine tolle Basis, um konkret über Alternativen wie Quartiersparkhäuser, Mobilitätsstationen und die detaillierte Gestaltung von neu gewonnenen Räumen diskutieren zu können.

Kommunikation ist der Schlüssel zum guten Prozess

Gute Beteiligung braucht eine transparente und aktivierende Kommunikation. Das gilt natürlich auch für die Mobilitätswende. Folgende Strategien haben sich in unseren Projekten bewährt: 

  • Informierend aktivieren
    Mit genügend Ressourcen frühzeitig und transparent zu informieren ist grundlegend für einen soliden Prozess. Die Ankündigung des Beteiligungsformats mit Hintergrundinformationen kommt am besten per Postwurfsendung direkt zu den Betroffenen ins Haus. Eine persönliche Ansprache liefert die beste Gesprächsgrundlage. Wichtig ist dabei eine einfache und visuell ansprechende Aufarbeitung der häufig komplexen Zahlen.
  • Alternativen aufzeigen
    Die Mobilitätswende verlangt von uns allen ein Umdenken – wie kann das für die Betroffenen aussehen? Warum besteht die Notwendigkeit für das Projekt? Aber auch: Welche Alternativen gibt es und wie hat es woanders funktioniert? Wo kann ich in Zukunft parken? Wo können Feuerwehr, Mobilitätseingeschränkte und Handwerker*innen halten? Wie funktionieren Krankentransport und Lieferverkehr? Für viele dringliche Fragen gibt es bereits gute Antworten.
  • Fantasie ankurbeln
    Weniger Autos, mehr Menschen! Mit guten Beteiligungsformaten lässt sich zum Experimentieren und Visionieren einladen. Sobald Menschen sich eine zukünftige Variante vorstellen können, ist ihre Kreativität geweckt. Anstatt sich zu verstecken, sollte kein Fest ausgelassen werden, bei dem zum Projekt beteiligt wird. Gesamtstädtische Kampagnen zum Projekt unterstützen das Gefühl, dass etwas Neues und Zukunftsorientiertes entsteht.
  • Framing Flächengerechtigkeit
    Der öffentliche Raum gehört allen. Gerechtigkeit für alle Verkehrsteilnehmenden zu thematisieren, ist wichtig: Wer nimmt momentan welche Fläche ein? Wer ist hier momentan sicher? Wer bezahlt für die Nutzung der Fläche? Wer entscheidet? Diese „Selbstverständlichkeiten“ bewusst zu machen, kann der Debatte helfen.
  • Better together: Verwaltung und Politik vereint!
    Die Fachverwaltung ist auf Rückfragen vorbereitet und kann wichtige Detailfragen beantworten. Alle Kompetenzen zu vereinen und ansprechbar zu sein, sind das A und O. Genauso wichtig ist der politische Rückhalt. Auf welchem politischen Beschluss wird aufgebaut? Wie wurde dieser getroffen? Wenn Verwaltung und politische Vertreter*innen gemeinsam auftreten, ist der Prozess stärker.

 

Fazit: Unsere Learnings für gute Beteiligung in der Mobilitätswende

  • Wie immer gilt: Beteiligungsspielräume klar kommunizieren und ehrlich sein, worüber diskutiert werden kann und worüber nicht.
     
  • Gewinnframing „Hier entstehen neue Räume“: Beteiligung wird dann gut, wenn es Gestaltungsspielraum gibt! Da Verluste schwerer wiegen als Gewinne, müssen diese bewusst in den Fokus gerückt werden. Die Beteiligung wird entsprechend ausgelegt – und macht dann auch mehr Spaß!
     
  • Intensive Stakeholderbeteiligung ist wichtig, z.B. über Beiräte oder Fokusgruppen. Eine gute nachhaltige Mobilität braucht sowohl Expert*innen auf Planungs- als auch auf Nutzer*innen-Ebene. Alle Mobilitätstypen müssen am besten kontinuierlich vertreten sein.
     
  • Beteiligungsformate klein und wirklich zielgruppenorientiert halten! Menschen müssen Räume eröffnet werden, in denen sie sich wohlfühlen zu sprechen. Mehrere gute Gespräche mit zehn Menschen sind ertragreicher als eine konfrontative Großveranstaltung mit 400. Das „One size fits all“ gibt es nicht.(2) 
    Trauen Sie sich, Formate wirklich für eine Zielgruppe zu entwickeln. Eine solide Zielgruppenanalyse zu Beginn des Prozesses legt eine wichtige Grundlage. (Wer grundsätzlich mitreden sollte, haben wir oben im Artikel festgehalten).

     
  • Crossmediale und dezentrale Formatvielfalt: Der Diskussionsbedarf ist hoch und die Emotionen stark. Diese Wucht kann durch crossmediale und dezentrale Angebote abgefedert werden. Ein Vorab-Online-Dialog kann eine gute Grundlage für eine Veranstaltung sein. Bei Veranstaltungen selbst sind kleinere dezentrale Beteiligungsangebote hilfreicher als ein Frontalprogramm. Explorative Formate im Raum gehen ins Detail und Augmented Reality kann die Fantasie ankurbeln.
     
  • Der Teufel liegt im Detail. Kleinteilige Beteiligungsangebote nach Quartier oder Teilraum lohnen sich! Raumerkundende Formate wie Spaziergänge oder Testversuche bieten sich hier ebenso an.
     
  • Eine starke Moderation ist zentral. Klare Dialogregeln sind erforderlich, vor Ort und digital. Die Moderation sollte daran regelmäßig und professionell erinnern. Um nicht in eine Verteidigungshaltung zu geraten, ist eine neutrale Prozessbegleitung, zumindest eine neutrale Moderation, essenziell. Gemeinsam mit sprechfähigen Mitarbeitenden der Stadtverwaltung wird die Diskussion rund.
     
  • Frühzeitige, transparente und aktivierende Kommunikation ist Teil des Erfolgs. Sie hilft allen Parteien sich darauf vorzubereiten, sich mitgenommen zu fühlen und schlussendlich in der Beteiligung konkret zu werden. Zentrale Ansätze und Botschaften haben wir oben im Artikel festgehalten.

     

Über Ihre Kommentare und Erfahrungsberichte an info@zebralog.de freuen wir uns sehr!

Der Artikel ist auf Basis eines Vortrags beim Difu am 11. Dezember 2023 entstanden:
„Meinen Parkplatz kriegt ihr nicht!“ – Was können Bürgerbeteiligung und Kommunikation? Verkehrswende kommunikativ gestalten

 


(1) Das Deutsche Institut für Urbanistik hat in „Umparken – den öffentlichen Raum gerechter verteilen. Zahlen und Fakten zum Parkraummanagement“ sehr übersichtlich zusammengestellt

(2) Hierzu hat auch das „Mehr Erreichen“ Projekt von More in Common e.V. und der Initiative für offene Gesellschaft interessante Forschungsergebnisse veröffentlicht.

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