Mehr Mehrsprachigkeit!

Was auf vielen sozialen Netzwerken bereits gängig, haben wir uns zur Aufgabe für den Beteiligungsalltag gemacht: Die Integration mehrsprachiger Angebote.

Teamwork

von Konstantin Wolf und Debora Kubia Meyer 

Viele Sprachen

Die Bedeutung von Mehrsprachigkeit bei Bürgerbeteiligungen hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Zum Beispiel wachsen Grenzregionen enger zusammen und Fragen des Zusammenlebens wollen gemeinsam gestaltet werden. Länder mit mehreren Amtssprachen, wie z.B. Luxemburg oder die Schweiz, setzen vermehrt auf Partizipation. Im europäischen Kontext rückt die EU als gemeinsamer Bezugsrahmen ihrer Mitglieder immer stärker in den Vordergrund. Und auch auf regionaler Ebene gewinnt Mehrsprachigkeit an Bedeutung, denn durch Migrationsbewegungen und Zugezogene aus aller Welt ist Internationalität allgegenwärtig und für viele bereits Normalität geworden 

Das spüren wir auch im Alltag. In den sozialen Medien ist der Einsatz mehrerer Sprachen fast schon selbstverständlich. Posting-Texte in anderen Sprachen werden automatisch in die eigene übersetzt, Videos mit automatisch generierten Untertiteln versehen. Und auf Streaming-Plattformen ist es beinahe schon ungewöhnlich, wenn die eigene Lieblingsserie nicht mindestens auch im O-Ton verfügbar ist.  

Um diesem internationalen und interkulturellen Zusammenleben gerecht zu werden, brauchen wir mehr mehrsprachige Lösungen in der Bürgerbeteiligung. Mehrsprachige Beteiligung ist Ausdruck der Wertschätzung von gesellschaftlicher Vielfalt. Sie trägt dazu bei, sprachliche Barrieren abzubauen und mehr Menschen in Partizipationsverfahren einzubeziehen.

Mehrsprachige Beteiligungen – wie sieht die Praxis aus? 
 

Zunächst gilt hier, was überall gilt: Die Wahl des geeigneten Formats, und damit auch die passende Form der Sprachvermittlung, richtet sich nach unserem Beteiligungsziel. Wir betrachten den Beteiligungsgegenstand, sein Konfliktpotenzial, die Komplexität des Themas, die zu integrierenden Perspektiven und konzipieren danach das Zusammenspiel der Formate und auch der beteiligten Sprachen. Das kann dann wie folgt aussehen: 

In den Dialog gehen – über Sprachgrenzen hinweg  
Steht bei einem Beteiligungsverfahren der intensive Austausch über Sprachgrenzen hinweg im Vordergrund, haben wir gute Erfahrungen mit mehrsprachigen Moderator*innen und Dolmetscher*innen gemacht. Wir haben Plenumsgespräche und Live-Diskussionen wie auch Kleingruppengespräche und Diskussionsräume in alle notwendigen Sprachen übersetzt. Auch die Einladungen, Informationsmaterialien und Auswertungen werden bei diesen Dialogen in allen beteiligten Sprachen zur Verfügung gestellt.  

Wichtige Impulse für mehrsprachige Dialoge konnten wir z.B. Beispiel durch die Konferenz zur Zukunft Europas gewinnen. In diesem Rahmen wurden viele grenz- und sprachübergreifende Dialoge angestoßen, einige davon hat Zebralog gemeinsam mit verschiedenen Partner*innen betreut, wie z.B. den Partnerstädte-Dialog München-Bordeaux. Hilfreich für diese Dialoge ist auch die EU-Beteiligungs-Plattform selbst, die in den 24 Amtssprachen der EU verfügbar ist und die Nutzer*innen-Beiträge automatisch übersetzt. Vor Ort haben wir auf zweisprachige Moderation und Verdolmetschung für die Teilnehmenden gesetzt.  

In der Regel beobachten wir bei übersetzten Dialogen, dass sich Auseinandersetzungen versachlichen. Ein erhitzter Redebeitrag gewinnt durch den verzögerten Austausch im Zuge der Übersetzung an Ruhe. Alle können besser abwägen, ihre Worte bewusster wählen – ein großer Vorteil mehrsprachiger Dialoge. 

Austausch innerhalb von Sprachgruppen  
Bei bestimmten Konstellationen und Fragestellungen kann es hilfreich sein, getrennt nach Sprachgruppen an Ergebnissen zu arbeiten. Beispiel: Im Rahmen eines Workshops finden Eröffnung und Einführung im Plenum statt mit Simultandolmetschung oder Übersetzung. Der anschließende Dialog läuft dann in Kleingruppen, nach Sprachen getrennt und ohne Übersetzung. Das ist auch ratsam, wenn eine Sprache dominant ist, denn so können sich die Angehörigen der nicht-dominanten Sprachgruppe im geschützten Raum austauschen. Am Ende werden die Ergebnisse gleichberechtigt zusammengetragen und über Sprachvermittlung allen zugänglich gemacht. Mit diesem Konzept haben wir z.B. beim Luxemburger Projekt „Die Nordstad-Fusionerfolgreich gearbeitet.  

Es geht auch parallel – bei informativen oder konsultativen Verfahren
Wenn nicht der Austausch im Vordergrund der Beteiligung steht, sondern es darum geht, Informationen zu vermitteln oder Ideen einzusammeln, können die verschiedenen Sprachen auch nebeneinander laufen, unterstützt von Simultandolmetschung und Übersetzungen. Die Beteiligten können so in ihren jeweiligen Sprachen zuhören und ihre Beiträge abgeben, z.B. bei einer Podiumsdiskussion mit Rückfrage- bzw. Feedback-Möglichkeit oder bei einer Online-Beteiligung mit mehreren Sprachräumen wie z.B. bei der deutsch-türkischen Beteiligung Malumat.

Startseite der Plattform Malumat

 

Keine Sorge vor Aufwand und Komplexität

Klar: Dolmetschen und Übersetzen bedeutet fast immer einen zusätzlichen Aufwand an Technik, räumlichen Voraussetzungen und damit auch höhere Kosten. Doch wie aufwendig es wirklich werden muss, ist je nach Anliegen des Verfahrens zu klären.  

Geht es um konflikthafte Themen oder komplexere Zusammenhänge empfehlen wir eine professionelle und vollumfängliche Übersetzung. Nur so können Fairness des Verfahrens und inhaltliche Präzision sichergestellt werden. Es gibt aber auch Kontexte, wo eine solche Genauigkeit gar nicht erforderlich ist und eher der Austausch oder ein Perspektivwechsel im Vordergrund stehen. Wenn es nicht darum geht, dass alle alles vollumfänglich verstehen, kann auch auf Laienkompetenz oder andere Hilfsmittel bei der Übersetzung zurückgegriffen werden und so der Aufwand minimiert werden. 

Von Hilfsmitteln und Zwischenformen

Wir freuen uns immer, wenn Auftraggeber*innen vor diesen Überlegungen nicht zurückschrecken. Sofern das Verfahren es erlaubt, lässt sich auch mit Zwischenformen und Hilfsmitteln von Sprachvermittlung arbeiten. So lassen sich die gesprochenen Sprachen auch mischen (z.B. durch mehrsprachige Moderation, aber keine Verdolmetschung; Vorträge ohne Verdolmetschung mal in einer, mal in der anderen Sprache). Um eine Simultanübersetzung zu ersetzen, kann bei Vor-Ort-Veranstaltungen in Kleingruppen an den Tischen eine Flüsterübersetzung stattfinden. Alternativ können auch die Sprachkompetenzen der Teilnehmenden selbst genutzt werden, z.B. mit gegenseitiger Hilfe an Kleingruppentischen. Als weitere Hilfsmittel sind mehrsprachige Infomaterialien, Folien oder Dossiers, die Fachbegriffe übersetzen, denkbar. Auch technische Hilfsmittel, wie z.B. eine automatisierte Übersetzung via Smartphone oder Tablet, können zur Übersetzung herangezogen werden. Und bei Online-Veranstaltungen ist die konsequente Verdolmetschung über die Verdolmetschungsfunktionen in der Videokonferenzsoftware ohne viel zusätzlichen Aufwand lösbar. Hier gibt es sicherlich noch viele andere Möglichkeiten, die erprobt, ausgewertet und verfeinert werden können. 

Bei zwei nationalen Bürgerräten in Luxemburg wurde die Mehrsprachigkeit zuletzt auf unterschiedliche Weise angegangen. In einem Fall wurde das passive Verständnis aller drei Amtssprachen (Luxemburgisch, Französisch, Deutsch) für die Teilnahme vorausgesetzt. In der Diskussion konnten die Teilnehmenden in der Sprache ihrer Wahl sprechen. Das spiegelt einerseits die landestypische Offenheit gegenüber Sprachenvielfalt und Sprachenmischung wider, schließt aber auf der anderen Seite auch einen nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung des Landes aus. In einem anderen Fall wurde konsequent in Französisch, Luxemburgisch und Englisch verdolmetscht und übersetzt. Das hemmt die Leichtigkeit und Spontaneität in der freien Diskussion, rückt aber dafür aber die Präzision und Inklusion in den Vordergrund.

Ausblick 

Auch wenn sich inzwischen viel tut, ist das Potenzial für mehrsprachige Lösungen in der Öffentlichkeitsbeteiligung noch lange nicht ausgeschöpft. Auch wir bei Zebralog arbeiten weiter daran, unserem Anspruch nach möglichst inklusiver und barrierearmer Partizipation noch näher zu kommen. Ein Schritt in diese Richtung ist die Eröffnung unserer Niederlassung in Luxemburg. Nicht zuletzt aus diesem Grund wird der Anteil an mehrsprachigen Projekten für uns in Zukunft weiterwachsen. Darüber freuen wir uns sehr.  

Wir haben Ihr Interesse geweckt?