Beteiligung unter Strom

Crossmedialität erweitert den Gestaltungsspielraum für das prozessuale Konfliktmanagement

Ein Beitrag von Oliver Märker, Carolin Holtkamp und Malte Steinbach 
 

Laptop auf dem getippt wird.

* Ein ausführlicherer Beitrag ist unter gleichnamigen Artikel erstmals im November 2023 in der Zeitschrift für Konfliktmanagement (ZKM) erschienen. Siehe: Märker, Oliver, Holtkamp, Carolin and Steinbach, Malte. "Beteiligung unter StromZeitschrift für Konfliktmanagement (ZKM), vol. 26, no. 6, 2023, pp. 192-198. 

 
Digitalisierung als Treiber

Partizipation ist Ausdruck eines tiefgreifenden Wandels. Die dialogisch-konsultative Beteiligung der Öffentlichkeit hat in den letzten Jahrzehnten immer weiter an Bedeutung gewonnen. Es wird (an)erkannt, dass aufgrund der zunehmenden Komplexität der zu lösenden Aufgaben, etwa in der Stadtentwicklung, eine Erweiterung des Ideen- und Perspektivenpools hilfreich ist, um Probleme besser oder überhaupt verstehen und um zukunftsfähige Lösungen entwickeln zu können.

Jedoch verläuft Partizipation in der Regel nicht reibungslos. Vielmehr müssen Partizipationsverfahren in komplexen Umfeldern Raum geben für die konstruktive Aushandlung von Konflikten. Durch den zunehmenden Einfluss sozialer Medien sind öffentliche Diskussionen inzwischen häufig geprägt durch Wut und Empörung sowie einer zunehmenden Intoleranz gegenüber anderen Meinungen. Hartmut Rosa (1) diagnostiziert gar eine Aggressionsgesellschaft. Dialog wird daher eine immer wertvollere Ressource. Denn partizipative Verfahren ermöglichen Austausch, Perspektivwechsel und einen zivilen Umgang mit Konflikten.

Hinzu kommt, dass die Digitalisierung eine transformative Wirkung auf nahezu alle Aspekte des menschlichen Lebens und der Gesellschaft hat. Einerseits entstehen völlig neue Beteiligungsanlässe und Beteiligungsgegenstände, wie beispielsweise in den Smart-City-Kommunen. Andererseits werden Partizipationsverfahren selbst unter Veränderungsdruck gesetzt: Soziale Medien oder andere digitale Plattformen, beispielsweise Petitionsplattformen, sorgen dafür, dass sich Akteure umfassend vernetzen, Informationen austauschen, sich über öffentliche Angelegenheiten informieren und ihre Anliegen und Forderungen formulieren und effektiv Unterstützung organisieren. (Elektronische) Partizipation steht also im doppelten Sinne „unter Strom“.

Entwicklung der E-Partizipation

1998 wurde erstmalig – vermutlich europaweit – im Rahmen eines von der EU geförderten Projektes „Geographical Mediation“ zur Planung eines Wohn- und Technologieparks eine E-Partizipation in der Bundesstadt Bonn durchgeführt. Neben einer abendlichen Bürgerversammlung vor Ort wurde über mehrere Wochen mittels einer digitalen Plattform beteiligt.

Fünfundzwanzig Jahre später sind digitale Informations- und Dialogbausteine selbstverständlich Bestandteil der Öffentlichkeitsbeteiligung. Insbesondere werden Partizipationsportale eingesetzt, durch die den Verfahrensträgern neue Möglichkeiten zur Gestaltung partizipativer Planungsprozesse eröffnet werden. Partizipationsportale (2) bieten modulare und konfigurierbare Beteiligungsbausteine, die neue Instrumente im Werkzeugkasten der Beteiligung darstellen.

Chance Crossmedialität

In der Mehrzahl der von uns betreuten Partizipationsverfahren verknüpfen wir analoge und digitale Informations- und Dialogkanäle. Diese crossmediale Gestaltung birgt viele Chancen für die Verfahrensträger*innen:

  1. Wir können mehr und mehr unterschiedliche Menschen erreichen, d.h. crossmediale Verfahren ermöglichen eine größere Diversifizierung der Teilnehmenden eines Beteiligungsverfahrens.
  2. In analogen Formaten verweisen wir auf dazugehörige digitale Beteiligungsangebote und umgekehrt: So sorgen wir für eine Mobilisierung zur verstärkten Teilnahme an den Verfahren. Die so erzielte größere Teilnehmerzahl erhöht wiederum die Legitimität der erarbeiteten Ergebnisse.
  3. Der zusätzliche Einsatz von digitalen Beteiligungsplattformen unterstützt die Qualifizierung der Teilnehmenden: Informationen können im Vorfeld einer Beteiligung digital bereitgestellt und gemäß dem individuellen Informationsbedarf genutzt werden. Dies sorgt für eine qualitative Vertiefung der Verfahren.
     
Parallele und sequentielle Verfahrensgestaltung

Darüber hinaus bringt die Erweiterung der Beteiligungsbausteine durch die E-Partizipation neue Gestaltungsmöglichkeiten für Verfahrensarchitekturen und damit auch für das prozessuale Konfliktmanagement:

Je nach Verfahrensgegenstand wählen wir eine parallele oder eine sequentielle Verknüpfung von analogen und digitalen Beteiligungsformaten. Beim parallelen Einsatz von analogen und digitalen Angeboten werden auch die gleichen Fragen zu identischen Beteiligungsgegenständen gestellt. Ziel ist, mehr und mehr unterschiedliche Akteure zu rekrutieren und gleichen Akteuren durch Kanalwechseloption(en) mehr Beteiligungsmöglichkeiten zu geben. Parallele Verfahrensgestaltung kann sowohl synchrone als auch asynchrone Formen der Beteiligung ermöglichen. Zum einen kann eine Beschäftigung und Diskussion vor Ort (synchron) zur gleichen Zeit im Dialog von Angesicht zu Angesicht mit anderen Menschen ermöglicht werden. Zum anderen wird, zusätzlich oder alternativ zu den Vor-Ort Dialogen, ein Zeitraum gewährt, innerhalb dessen man sich zeit- und ortsunabhängig und (weitestgehend) unabhängig von anderen Akteuren (asynchron) einbringen kann.

Neben diesen parallelen Verfahrensarchitekturen haben sich sequenzielle Architekturen bewährt. „Partizipation ohne E“ und E-Partizipation werden hintereinander verknüpft, um zu unterschiedlichen Frage- und Aufgabenstellungen das geeignetste Format anzubieten. Darüber hinaus können in jeder Sequenz unterschiedliche Zielgruppen angesprochen werden. Sequenzielle Verfahren werden häufig für Planungsprozesse durchgeführt, die mehrere und fachlich unterschiedliche Phasen aufweisen. Durch den sequenziellen Wechsel zwischen Online und Vor-Ort, zwischen Öffnung und Einsehbarkeit sowie Schließung und Vertraulichkeit wird ein prozessuales Konfliktmanagement möglich, dass die öffentlichen und spezifischen Interessen involvierter Stakeholder ausbalanciert.

Prozessuales Konfliktmanagement durch Innenkreis-Außenkreis-Management

Wir sehen in vielen Projekten, dass durch die „Elektrifizierung“ der Öffentlichkeitsbeteiligung konfliktträchtige Beteiligungsverfahren eine größere Akzeptanz und Verfahrenslegitimation erfahren können. Denn durch die Verknüpfung digitaler und Vor-Ort Formate ergeben sich neue Gestaltungsmöglichkeiten für das „Innenkreis-Außenkreis-Management“:

  • Im produktivenInnenkreis befinden sich ausgewählte Akteure, die in halböffentlichen oder geschlossenen Vor-Ort-Formaten (z.B. Planungswerkstätten, Arbeitsgruppen, Gremien) inhaltlich eng zusammenarbeiten.
  • Dieser Innenkreis, der häufig als vertraulich und exklusiv wahrgenommen wird, wird durch Online-Methoden, um einen frei zugänglichen Außenkreis ergänzt, dem sehr viele Menschen beitreten können.

Die Verknüpfung führt zu einer höheren Akzeptanz der Beteiligungsergebnisse und legitimiert das Verfahren insgesamt. Denn beteiligungswillige Akteure, die nicht für den Innenkreis ausgewählt wurden, werden nicht gänzlich ausgeschlossen. Sie können ihre Perspektive im Außenkreis einbringen und die Arbeit des Innenkreises beobachten. Dies hilft auch der Zusammenarbeit des Innenkreises, wenn zwischen den (konfliktären) Interessensgruppen schwierige Auseinandersetzungen entstehen. In diesem Moment wird dann nicht auf die Verfahrensebene gewechselt und das (öffentlich sichtbare und akzeptierte) Beteiligungsverfahren in Frage gestellt, sondern der Fokus liegt weiterhin auf den Inhalten und dem Ringen um die besten Lösungen.

Die Bildung vertraulicher Innenkreise wird auch dadurch stabilisiert, dass eingesetzte Online-Plattformen sich immer häufiger zum Verfahrens- und Beteiligungsgedächtnis mausern, indem sie das gesamte Verfahren, seine Schritte und Zwischenergebnisse transparent dokumentieren und für alle einsehbar machen, einschließlich der vertraulichen Vor-Ort-Beteiligungen, die so zumindest als Beteiligungsbausteine sichtbar werden. Dadurch werden Planungs- und Beteiligungsverfahren auch für Akteure nachvollziehbar, die nicht in Kleingruppenformaten mitarbeiten, oder für Akteure, die sich erst im Lauf eines Verfahrens zu einem späteren Zeitpunkt „einklinken“.

Fazit und Ausblick

Durch die inzwischen gut etablierten Formate der E-Partizipation eröffnet sich für Dialog- und Beteiligungsverfahren eine breite Palette an Gestaltungsoptionen. Gerade für komplexe Beteiligungsvorhaben haben sich crossmediale Verfahren in der Praxis sehr gut bewährt. Wir beobachten vielerorts einen Zuwachs an Wissen um gute Prozessgestaltung und eine zunehmende Institutionalisierung von Beteiligungsangeboten, vor allem in Städten und Kommunen. Für das prozessuale Konfliktmanagement ist vor allem das große Potenzial des Innenkreis-Außenkreis-Managements der sequentiellen Verfahrensarchitekturen hervorzuheben.

Für die Weiterentwicklung dieser Verfahren werden in naher Zukunft auch Anwendungen Augmented Reality (AR) oder Virtual Reality (VR) das Methodenportfolio als selbstverständliche Module erweitern, um die Qualifizierung der Teilnehmenden etwa bei der Vermittlung von Planungsvarianten zu unterstützen oder völlig neue virtuelle Beteiligungsräume zu eröffnen.

Künstliche Intelligenz wird nicht nur die Transformation der Gesellschaft weiter beschleunigen und neue Beteiligungsanlässe schaffen, sondern die Beteiligung selbst weiter „unter Strom“ setzen und völlig neue Möglichkeiten schaffen, etwa bei der Vorbereitung (Beteiligungsscoping), der Teilnahme und Nutzerführung im Dialog, Visualisierung oder Folgenabschätzung von Varianten, bei der Moderation (Monitoring), oder der Analyse von Beteiligungsergebnissen oder der Verfahrensqualität.

Wir nehmen diese Weiterentwicklungen aufgeschlossen und zugleich kritisch in den Blick. Denn bei aller Freude über viele neue Funktionen und Möglichkeiten der E-Partizipation bleiben die Qualitätskriterien guter Beteiligung immer unsere Richtschnur.

 

Literatur

1 Rosa, Demokratie braucht Religion, München 2022.

2 Vgl. Märker, Digitale Beteiligungstools für Kommunen, Kreise und Ministerien, in: „Mitreden. So gelingt kommunale Bürgerbeteiligung“, Fründt/Laumer (Hrsg.), Marburg 2019, S. 25-48. 

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